
Spinat nippen
Schlucken statt kauen: Auch in Bern wird mit dem Vorurteil aufgeräumt, Säfte gehörten nur auf den Frühstückstisch. Ein Testtrinken.
Bis vor kurzem gehörte der Coffee-to-Go-Becher noch zu den Lieblingsaccessoires hipper Gross- und Kleinstädterinnen. Jetzt wird ihm dieser Status streitig gemacht: Immer öfter ist der Becher nun ein Saftbecher, gefüllt mit Flüssigkeiten in allen Farben des Regenbogens. Was ist passiert? «Juicing» ist passiert. Juicing meint einerseits den Vorgang der Saftherstellung selbst, es bezeichnet aber auch die Ernährung mittels Säften. Also weg vom profanen Frühstücksgetränk hin zur Verpflegung für Zwischendurch. Schauspielerinnen wie Gwyneth Paltrow tun es, Models wie Rosie Huntington und Ehefrauen von Kanye West sowieso. Und wenn ein Nahrungsmittel erst einmal ein eigenes Verb erhält, dann weiss man, dass man es mit einem Trend zu tun hat.
Ein weiteres Mode-Indiz: Auch in der Bundesstadt kann seit diesem Sommer «gesaftet» werden. «I Love Juice» heisst das Geschäft an der Herrengasse, das sich auf die Saftherstellung spezialisiert hat. Es werden einerseits kalt gepresste Säfte und Smoothies angeboten, andererseits ganze «Detox-Pakete» für ein bis fünf Tage. Solchen Saftkuren dürfte der «Juicing»-Trend aus Amerika seine eigentliche Beliebtheit verdanken: Das mehrtägige Fasten, währenddessen nur flüssige Nahrung aufgenommen wird, führt zum kurzfristigen Gewichtsverlust. Ausserdem pochen manche auf die immunsystemstärkende und energiefördernde Wirkung.
Anderen bleiben von ihren Saftkurerfahrungen andere Dinge in Erinnerung: etwa der überbordende Stolz darüber, fünf Tage ohne feste Nahrung ausgekommen zu sein. Wertvolle Einblicke in die eigenen Ernährungsmechanismen. Aber auch der stechende Kopfschmerz vom Koffeinentzug. Merke: Eine Saftkur sollte gut geplant sein.
Beim Testbesuch bei «I Love Juice» wird also vorerst darauf verzichtet, aufs Ganze zu gehen. Fürs Erste soll es bloss eine Geschmacksprobe sein. Als besonders gesund, weil kalorienärmer und mineralstoffreicher als reine Fruchtsäfte, gelten grüne Säfte mit Spinat, Federkohl, Petersilie oder ähnlichem Gemüse. Im ausgewählten Smoothie «Green Screwdriver» (9 Fr.) findet sich neben Orange, Apfel und Banane auch Spinat und Spirulina, eine tiefgrüne Algenart, der eine entgiftende Wirkung nachgesagt wird. Für weitere 9 Franken gibt es den Gemüsesaft «Flying Dutchie» aus Rüebli, Apfel, Sellerie und Ingwer, und weil Kohlehydrate gemeinhin Spass machen, kommt auch noch ein Haferflocken-Bananen-Keks (2.50 Fr.) auf die Rechnung. Diese erweist sich mit 20.50 Franken am Ende als stolz. Trinktrends, vorab aus kalt gepresstem Bioobst und -gemüse, scheinen es in sich zu haben.
Wider Erwarten ist es nicht der tiefgrüne Spinat-Frucht-Saft, der am Gaumen etwas widerborstig tut. Nein, es ist der Keks. Triebe man sich noch auf Pausenhöfen herum, die Milchschnitte-Kinder würden jetzt schadenfroh zuschauen, wie man die Hälfte des trockenen Plätzchens vertilgt und den Rest wieder in die Serviette wickelt. Satt macht der Einkauf trotzdem. Die beiden Säfte schmecken nämlich ausnehmend fein und werden, über den Nachmittag verteilt, bis auf den letzten Tropfen getilgt. Dank dem hohen Fruchtanteil sind sie schön süss, und nach dem letzten Schluck bleibt die wohlige Gewissheit, den Vitaminhaushalt saniert zu haben. Glatt nimmt man sich vor, beim nächsten Mal den Federkohl zu wagen. Diesmal nur wenig Apfel, bitte.
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