Flugindustrie: Wann ist die Talsohle erreicht?

Die Entwicklungen im Flugverkehr sind unsicher. Klar ist: Wer Papiere von Dufry, Flughafen Zürich und Co. besitzt, braucht einen langen Atem.

Langfristig werden sich auch die Aktienkurse erholen: Parkierte Swiss-Maschine am Flughafen Zürich. Foto: Keystone

Wenn hypothetisch morgen wieder geflogen würde, stiegen die Aktien zum Beispiel des Flughafens Zürich. Wenn weitere 12 Monate nicht geflogen wird, sinken sie wohl. Die Frage ist, wie viel ist bereits heute eingepreist an Hoffnung oder Besorgnis für die weiteren Aussichten? Wie viel Prozent müssten die Aktien von Flughafen Zürich, Lufthansa, Dufry etc. noch einbrechen, damit das Chance-Risiko-Verhältnis eher vorteilhaft wäre? Irgendwann wird wieder geflogen. Was ist aber realistisch dato eingepreist? M.M.

Auf Ihre Frage gibt keine mathematisch genaue Antwort. Um sich ein Bild für Ihren Aktienentscheid zu machen, empfehle ich Ihnen, mehrere Szenarios zu erstellen und deren Wahrscheinlichkeit zu beurteilen.

Das Worst-Case-Szenario – so hat man den Eindruck – ist mit dem Grounding des grössten Teils der Flugflotten weltweit bereits eingetroffen. Die Airlines können wegen der Corona-Krise nur noch ganz wenige Flüge durchführen, der Flughafen Zürich ist menschenleer, und beim Reisedetailhändler Dufry ist das Geschäft fast zum Stillstand gekommen.

Wenn man die Bilder aus der Airline-Industrie anschaut, würde man meinen, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte. Leider kann es im schlimmstmöglichen Szenario, von dem ich allerdings nicht ausgehe, theoretisch doch noch schlechter werden: dann nämlich, wenn nach einem Rückgang der Corona-Fälle eine zweite oder gar später eine dritte Corona-Welle aufträte und von den Regierungen weltweit erneut strenge Lockdown-Massnahmen angeordnet würden.

Das hätte zur Folge, dass der Flugverkehr noch lange Zeit praktisch blockiert wäre. Für die Airline-Industrie wäre das fatal, da schon die heutige Situation für einige Unternehmen existenzbedrohende Konsequenzen hat – so etwa für die Bodenabfertigungsfirma Swissport, ohne die am Flughafen Zürich und an weiteren Airports weltweit nichts mehr gehen würde und die zusätzlich unter Problemen bei der chinesischen Hauptaktionärin HNA Group leidet.

Ich gehe davon aus, dass bereits sehr viel Negatives in den Kursen eingepreist ist

Für das Worst-Case-Szenario abgesichert hat sich bereits Dufry. Der Reisedetailhändler Dufry hat sich bei einem Bankenkonsortium eine zusätzliche Kreditlinie in der Höhe von 425 Millionen Franken gesichert. Zudem will die Firma bis zu 5,5 Millionen Aktien bei privaten Investoren platzieren und sich weitere 300 Millionen Franken mit einer Anleihe holen. Weiter wird auf die Dividende verzichtet, und die Kosten sollen noch mehr gesenkt werden.

Mittels all dieser Massnahmen ist Dufry laut Firmenangaben in der Lage, selbst ein Szenario mit einem Umsatzrückgang von 70 bis 80 Prozent über eine längere Periode durchzustehen. Dufry hat das Richtige gemacht und trimmt sich nun fit für eine spätere Erholung. Das weckt zu Recht Hoffnungen bei den Aktionären. Dank einem geschätzten Kapitalpolster von 1,5 Milliarden Franken hätte Dufry auch im nächsten Jahr genügend liquide Mittel, selbst für den Fall, dass es keine Erholung im Flugverkehr gibt.

Während der ebenfalls von Ihnen erwähnte Flughafen Zürich bereits gut kapitalisiert ist, benötigt die an der deutschen Börse kotierte Swiss-Muttergesellschaft Lufthansa dringend Regierungsunterstützung. Diese wird sie auch bekommen – sowohl die Swiss hierzulande als auch die Lufthansa in Deutschland. Entscheidend fürs Überleben ist derzeit ein dickes Kapitalpolster.

Neben dem Worst-Case-Szenario würde ich auch Szenarien erstellen, die von einer Erholung des Luftverkehrs in unterschiedlichem Tempo ausgehen. Eine extrem schnelle Normalisierung der Airline-Industrie halte ich indes für unrealistisch.

Eher wahrscheinlich sind eine langsame Öffnung der Grenzen und eine Wiederaufnahme des Flugverkehrs auf Sparflamme im laufenden Jahr. Die Airlines werden nicht gleich wieder alle Destinationen anfliegen können, sondern je nach Stand der Restriktionen bei einem weiteren Abflauen der Corona-Verbreitung ihre Flugpläne schrittweise ausweiten können.

Wenn Sie Aktien von der Lufthansa, Dufry oder dem Flughafen halten oder kaufen, brauchen Sie einen sehr langen Atem. Ich gehe davon aus, dass bereits sehr viel Negatives in den Kursen eingepreist ist – ausser natürlich das ausführlich skizzierte Worst-Case-Szenario.

Ich gehe davon aus, dass später wieder viel geflogen wird und dass sich die erwähnten Unternehmen und deren Aktien erholen werden. Bis dahin ist es aber ein langer und steiniger Weg, der für die Aktionäre viele Risiken beinhaltet und phasenweise auch neue Kursrückschläge bringen dürfte.

2 Kommentare zu «Flugindustrie: Wann ist die Talsohle erreicht?»

  • Peter Rohner sagt:

    Jede Aktie hat jederzeit alle verfügbaren Information eingepreist und somit jederzeit einen marktgerechten Preis. Tauchen neue Informationen auf, werden diese innert kürzester Zeit wieder eingepreist.

    Wenn Nachrichten einen Privatanleger erreichen, dann ist es bereits zu spät für Aktienkäufe bzw. -verkäufe, denn die Kurse haben sich schon längst angepasst.

    Nur Insider haben einen Wissensvorsprung, den sie zu ihrem Vorteil nutzen könnten, aber Insidergeschäfte sind ja bekanntlich verboten und strafbar.

  • Anh Toàn sagt:

    Der Flugverkehr hat seine Talsohle erreicht, noch weniger als zur Zeit wird wohl kaum geflogen werden. Die Frage ist, wie weit sich der Flugverkehr wieder erholen wird. Ich denke, auf ein deutlich tieferes Niveau als vor Corona, weil sich im Management die Erkenntnis durchsetzt, dass ein grosser Teil der Reiserei vermieden werden kann, und dies effizienter ist.

    Der 5 Jährige darüber, was er mal werden wolle: „A travelling man, like my daddy.“ (Papa ist Top Manager)

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