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Sicherheitsplan nicht befolgtDie Finma hätte einschreiten müssen, liess die Credit Suisse aber gewähren

Handelte in der Krise der zweitgrössten Schweizer Bank nicht energisch genug: Marlene Amstad, Präsidentin der Finma.

Wo sie kann, wiederholt Marlene Amstad ihre Botschaft. In einem Interview mit den CH-Media-Zeitungen sagte die Präsidentin der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht, kurz Finma: «Wo es die gesetzliche Grundlage erlaubt, haben wir eingegriffen.» In der NZZ sagte sie: «Generell braucht es Menschen, die auch dort hinsehen und eingreifen, wo man Widerstände überwinden muss und manchmal wenig Anerkennung bekommt.»

In der SonntagsZeitung hiess es: «Wenn wir generell als zahnlose Behörde dargestellt werden, so stimmt das einfach nicht (…), aber ja, bei der CS stiessen wir mit den gesetzlichen Möglichkeiten an Grenzen.»

Das entpuppt sich jetzt als Lebenslüge von Amstad, wie der «Too big to fail»-Bericht zeigt, den der Bundesrat vergangene Woche veröffentlicht hat.

Drei «Eskalationslevel» wurden binnen Kürze erreicht

Rückblende: Im Herbst 2022 war die Credit Suisse bereits schwer angeschlagen. Sie machte 5 Milliarden Franken Verlust in den USA mit dem Hedgefonds Archegos. Die asiatischen Kunden waren in Aufruhr, weil sie mit den Greensill-Fonds Milliarden verloren. Hinzu kam ein Sanierungsplan, an den ausser der Bankführung niemand glaubte.

Die Credit-Suisse-Aktien waren im freien Fall, als am 1. Oktober 2022 der australische Journalist David Taylor einen Tweet absetzte, der Panik verbreitete. Angeblich sei eine grosse Bank kurz vor dem Kollaps.

Der Tweet wurde kurz darauf wieder gelöscht.

Innert kürzester Zeit zogen die Kunden 80 Milliarden Franken ab. Für solche Fälle gab es einen Stabilisierungsplan, der dazu gemäss «Too big to fail»-Bericht diente, die Bankführung zu «zwingen», sich über das Vorgehen in Krisensituationen Gedanken zu machen.

Daneben gab es sogenannte Contingency-Funding-Pläne, kurz CFPs, für die Credit Suisse und ihre Töchter. Sie sollten sicherstellen, dass die Bank auf Liquiditäts- und Finanzierungsengpässe reagieren kann.

Sie sahen gemäss dem bundesrätlichen Bericht drei «Eskalationslevel» vor. Das höchste Level 3 musste aktiviert werden, wenn die Mindestanforderungen an die Liquidität unterschritten wurden. «Im Fall der Credit Suisse wurde Eskalationslevel 1 am 3. Oktober 2022 aktiviert, Level 2 am 5. Oktober und Level 3 am 1. November 2022», heisst es dazu im Bericht.

Die Bank beschönigte ihre Lage

Geschehen ist dann gemäss Bundesratsbericht Folgendes: Angeordnet durch die Finma, wurde ab dem Erreichen des Eskalationslevels 1 ein täglicher sogenannter Liquidity-and-Funding-Call abgehalten. «Im Rahmen der Calls kam zum Vorschein, dass die Datenqualität und der Informationsgehalt der Daten der Bank oft ungenügend waren. So entsprachen vor allem die Prognosen (…) nicht der Realität und beschönigten den Krisenverlauf fortlaufend.»

Am 1. November 2022, als die höchste Eskalationsstufe 3 erreicht und der Stabilisierungsplan hätte ausgelöst werden müssen, geschah aber laut Bericht nichts: «Im Gegensatz zu den CFPs wurde der Stabilisierungsplan der Credit Suisse nicht aktiviert.»

Laut Gesetz ist die Geschäftsleitung bei Erreichung des Eskalationslevels 3 dazu verpflichtet, einen Entscheid zu fällen, ob sie den Stabilisierungsplan auslöst oder nicht. «Im Fall der Credit Suisse stellte sich heraus, dass die Bankführung trotz Erreichen der formellen Voraussetzungen nicht bereit war, den Stabilisierungsplan zu aktivieren.»

Die Rechtsfolgen dieser Verweigerung seien im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, schreibt der Bundesrat. Die Finma könnte sich jedoch auf die Generalklausel in Artikel 31 des Finma-Gesetzes berufen. Die besagt, dass die Finma im Fall von Missständen für «die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes» sorgen darf.

«Darunter könnte auch die Aktivierung des Stabilisierungsplans bzw. die Anordnung zur Durchführung einer im Stabilisierungsplan vorgesehenen Massnahme fallen», heisst es im Bundesratsbericht. Doch: «Im Fall der Credit Suisse hat die Finma darauf verzichtet, die Aktivierung des Stabilisierungsplans anzuordnen.»

Ausriss aus dem «Too big to fail»-Bericht des Bundesrats.

Wenn es um die Existenz einer Bank geht, hat die Finma weitere Kompetenzen. Artikel 26 des Bankengesetzes lautet: «Es kann auf den Führungsbereich der Bank Einfluss genommen werden, indem die Finma den Organen Weisungen erteilt, ihnen die Vertretungsbefugnis ganz oder teilweise entzieht oder sie abberuft.»

Dass es dazu Anlass gegeben hätte, steht im Bericht: So konnten die im Stabilisierungsplan vorgesehenen Verkaufspreise aufgrund der damals vorherrschenden Marktbedingungen nicht erreicht werden. Zudem hätten «operative Hürden bestanden, die von der Bank vorgängig nicht identifiziert worden waren.»

Hinzu kam die Weigerung der Bankführung, das Gesetz umzusetzen. «Darüber hinaus waren die Verantwortlichen der Bank nicht gewillt, gewisse Massnahmen umzusetzen, die ihre Kernstrategie tangiert hätten (wie zum Beispiel Verkäufe, welche die Divisionen Wealth Management oder Swiss Universal Bank betrafen)», heisst es im Bericht.

Hätte die Credit Suisse im Herbst stabilisiert und die Zwangsübernahme verhindert werden können, wenn die Finma eingegriffen hätte? Die Aufsichtsbehörde wehrt sich gegen diese Darstellung. Sprecher Vinzenz Mathys sagt: «Für die Anordnung von Massnahmen aus dem Sanierungsplan ist die aktuell bestehende allgemeine Kompetenz (Artikel 31) nicht ausreichend.»

Namentlich reiche sie nicht aus, um direkt und erheblich in die Strategie eines Beaufsichtigten – zum Beispiel durch das Anordnen von Verkäufen von Unternehmensteilen – und damit in das verfassungsmässig geschützte Recht der Handels- und Gewerbefreiheit einzugreifen.

Aus demselben Grund sei die Anordnung einer darauf gestützten vorsorglichen Massnahme gegen den Willen der Bank «aussichtslos» gewesen. Für ein rasches und wirksames Eingreifen bei solchen zentralen strategischen Fragen und in Krisen sei Rechtssicherheit unabdingbar.

Marlene Amstad selber widersprach früher dieser Behauptung. Im 24. August 2022 sagte sie in der «Finanz und Wirtschaft»: «Wir haben griffige Instrumente und nutzen sie.»

Professorin und Professor sprechen von «Beschönigung», «Mutlosigkeit» und «Angst»

Compliance-Professorin Monika Roth und Finanzprofessor Marc Chesney widersprechen beide der Darstellung der Finma. Roth sagt: «Man hat die Kompetenzen nicht ausgenutzt. Der Grund dafür dürfte Mutlosigkeit gewesen sein, die Angst vor einem allfälligen politischen Sturm, der dadurch entfacht worden wäre.»

Chesney sagt: «Die Finma hatte schon vor 2022 die Kompetenz, einer Bank die Lizenz zu entziehen und den Verwaltungsdirektor auszuwechseln. Warum hat sie das bei der Credit Suisse nicht gemacht?» Roth sieht das genauso: «Alt-Bundesrat Ueli Maurer hat die Geringschätzung gegenüber der Finma ja auch unverhohlen zum Ausdruck gebracht, was zur Situation beigetragen hat.»

Der ehemalige Finma-Direktor und -Vizepräsident Daniel Zuberbühler sagte schon vor Monaten in der NZZ: «Wenn die obersten Bankorgane nicht willig waren, hätte sie die Finma mit dem Gewährsartikel zur Räson bringen können. Das geht auch ohne formelles, zeitaufwendiges Verfahren, wenn die Aufsicht ein Machtwort spricht.» Er muss es wissen, denn 2008, mitten in der Finanzkrise, entfernte er UBS-Präsident Marcel Ospel mit einem Machtwort.

Ob das in Zukunft besser wird, stellt Roth infrage: «Die neuen Kompetenzen nützen rein gar nichts, wenn nicht durchgegriffen wird. Es fehlte an Selbstsicherheit und Stringenz, an Zivilcourage und Durchsetzungswillen. Auch das kann man nicht herbeiregulieren.»

Chesney geht noch weiter: «Die Finma und die Nationalbank haben die Situation bis zum Schluss beschönigt. Noch am 15. März 2023 verschickten sie eine gemeinsame Mitteilung mit folgendem Inhalt: Die Credit Suisse erfüllt die an systemrelevante Banken gestellten Anforderungen an Kapital und Liquidität. Worauf stützen sie sich bei solchen Aussagen? Das sollten sie mal offenlegen.»

Fragt sich, wie es sich rechtfertigt, dass Amstad und Credit-Suisse-Chef Ulrich Körner noch im Amt sind. Die UBS und die Finma sagen dazu nichts. Roth sagt dazu: «Das ist ein weites Feld. Netzwerke, mangelndes Unrechtsbewusstsein, Uneinsichtigkeit, Arroganz.» Chesney sagt: «Es fehlt am politischen Willen, zu untersuchen, was bis heute unter den Teppich gekehrt wurde.»