«Don Quixote» bei Bühnen BernEin begeisternder Tanz gegen Windmühlen
Bern Ballett als anmutige Kampfmaschine und ein Wunder zum Schluss: Choreograf Po-Cheng Tsai hat «Don Quixote» in ein schwungvolles Tanzstück verwandelt.
So einfach kann es manchmal sein im Ballett: Man lasse eine Tänzerin die Arme kreisen, die Hände zu Fäusten geballt. Sodann vervielfache man die Bewegung durch weitere Tanzende, lasse diese im Pulk über die Bühne wirbeln, und schon entsteht der Eindruck von jenen Riesen, gegen die der spanische Ritter Don Quixote ankämpft; dabei sind es in Wirklichkeit nur Windmühlen.
Die Szene ist einer der zahlreichen Höhepunkte von «Don Quixote», der neusten Produktion von Bern Ballett. Man wünscht sich in diesem Moment, es stünde dafür ein grösserer Raum zur Verfügung als der Saal in den Vidmarhallen. So kraftvoll, so energisch tritt das Ensemble hier auf, wie eine vollgeladene Batterie.
Ritterromane haben ihm den Kopf verdreht
Der Taiwaner Po-Cheng Tsai hat Miguel de Cervantes’ Roman (entstanden zwischen 1605 und 1615) als Grundlage für sein Tanzstück verwendet. Wie der Autor auf Papier, so schreibt der Choreograf seine Bewegungsmuster in einen komplett weissen Raum: mit schwarz und rot gekleideten Tänzerinnen und Tänzern als Tuschezeichen.
Genauso raffiniert, wie Po-Cheng Tsai den literarischen Bezug räumlich herstellt, übersetzt er das Handeln seiner Hauptfigur in Bewegung. Andrey Alves, von oben bis unten in rotem Samt und Leder, ist Don Quixote, der verarmte spanische Landadlige, dem die übermässige Lektüre von Ritterromanen den Kopf vernebelt hat. Darum meint der «sinnreiche Junker», wie es bei Cervantes heisst, er sei selber ein Held, der die Schwachen beschützen, die Starken bekämpfen und den Schönen imponieren müsse.
Andrey Alves hat das nötige Charisma
Andrey Alves – der das nötige Können und Charisma für die Rolle hat – streckt seinen Zeigefinger und lässt sich von ihm über die Bühne ziehen: Ein schönes Bild dafür, wie der Protagonist seinen herbeifantasierten Illusionen hinterherjagt.
Später wird ihm eine zweite Figur in Rot zur Seite stehen, sein ergebener Diener Sancho Panza (Edoardo Deodati). Die beiden geben ein komisches Duo ab, wenn sie gebückt über die Bühne tänzeln und Grimassen reissen. Gleichzeitig sind sie eine verschworene kleine Gemeinschaft – das müssen sie auch sein.
Ihnen gegenüber steht das restliche Ensemble. Dessen einheitlich schwarze Kleider, vom Stil her irgendwo zwischen Couture, Punk und Fetisch (Kostüme: Po-Cheng Tsai), lassen es wie eine Armee aus Schatten wirken. Wirkungsvoll ins diffuse Gegenlicht gesetzt (Licht: Chih-Chen Liu), erscheinen sie mal als Traumgespinste aus Don Quixotes überhitzter Fantasie, mal als Dorfgemeinschaft, die sich einen Spass aus der Narretei des Ritters macht.
Abgehobene Liebe zu Dulcinea
Dieser tritt im Laufe des Abends nicht nur gegen Windmühlen oder eine Herde Schafe an (von der er meint, es seien Soldaten), sondern versucht zudem, das Herz der angebeteten Dulcinea zu gewinnen. Po-Cheng Tsai findet auch dafür eine überzeugende choreografische Entsprechung: Es ist ein verlockender Tanz zwischen Mann und Frau, wobei die beiden kaum je einen Fuss auf den Boden setzen. Wie das geht? Sie werden von jeweils drei anderen in die Luft gehoben, scheinen über die Bühne zu fliegen im Spiel von Verführung und Verliebtheit. Wir sehen eine buchstäblich abgehobene Romanze, die nirgends verankert ist – und darum bloss Einbildung.
Fast übergangslos strickt Po-Cheng Tsai, der schon mehrfach in Bern choreografiert hat, die verschiedenen Episoden aneinander. Hin und wieder kippen die Kampfszenen ins Slapstickhafte, wenn die Figuren mit Kraftmeiergesten – gespannter Bizeps, Torero-Hände – in den Raum stapfen.
Fast jede Unternehmung endet mit Prügeln
Meist aber sind die Scheingefechte so elegant inszeniert wie asiatische Kampfkunst. Die schwarzen Gestalten bewegen sich im Schwarm dermassen geschmeidig, dass sie wirken wie ein einziger Körper, ein einziger Muskel. Dann entsteht aus Händen eine Schlange, aus einer Menschentraube ein Koloss. Und aus einer Gruppe von Individuen ein umwerfender Tanz-Organismus.
Es liegt in der Anlage des Stücks und vielleicht auch an der Vorliebe des Choreografen, dass dem Schwungvoll-Dynamischen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem Zarten und Feinen. Und dass die Fehden am meisten Raum einnehmen. Man kann dies auch unter Texttreue verbuchen: Bei Cervantes endet fast jede Unternehmung des Don Quixote damit, dass er eine Tracht Prügel bezieht – so geht das über mehrere Hundert Seiten.
Soundtrack mit Bombast
Auf die Dauer ein wenig ermüdend ist allerdings, dass die Musik nur ein Register kennt: das Dräuende, das Aufbrausende, den Höhepunkt. Ming-Chieh Li hat für den Abend einen Grossleinwandsoundtrack komponiert, der von Kampfgetrommel über Folklore bis Techno allerlei anklingen lässt. Noch in den ruhigeren Momenten kann er vom Bombast kaum lassen.
Immerhin verliert der Tanz darob nichts von seiner Raffinesse. Po-Cheng Tsai gelingt es sogar, mit einer rätselhaft verschleierten Figur, die das Geschehen von oben mit einem kreisrunden Lichtauge überblickt, eine Metaebene zu zimmern. Diese Person – vermutlich eine Autorfigur – scheint mit expressiven Handgesten die Fäden zu ziehen und lässt den Helden am Ende sterben. Kurz vor dem Tod erkennt Don Quixote, dass seine Abenteuer nur Täuschung waren.
Doch es war eine schöne Täuschung, eine rührende Illusion, ein bewundernswerter Idealismus. In Cervantes’ Roman erscheinen die Absichten des verträumten Helden am Ende ja überraschenderweise auch nicht mehr lächerlich, sondern in ihrer Menschlichkeit ergreifend. Genau dieses kleine Wunder geschieht auch in Bern.
Weitere Aufführungen bis 15. Oktober
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