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Fake News in ParisWie aus Brigitte Macron mal schnell ein Mann wurde

Sie hat mit abstrusen Fake News zu kämpfen: Brigitte Macron.

Geschichten gibt es, die wirken so grotesk, so offensichtlich falsch, dass sie eigentlich keine Beachtung verdienen würden. Etwa die Geschichte, wonach Brigitte Macron, die Première Dame de France, Gattin des Präsidenten der Republik, Mutter dreier Kinder aus erster Ehe, gar keine Frau sei. Sondern ein Mann. Ein Jean-Michel.

Die Falschnachricht zirkuliert nun schon seit drei Jahren, in Wellen. Zunächst wurde sie vor allem in der Echokammer rechtsextremer französischer Verschwörungserzähler verbreitet. Natürlich ohne jede Evidenz. Wenn die Bewirtschafter der Geschichte jeweils nach Belegen für ihre These gefragt wurden, sagten sie, es sei kein Wunder, dass es keine offiziellen Nachweise gebe: Die Macht manipuliere die Menschen. Die Eliten versteckten ihre unsäglichen Wahrheiten. Und die konventionellen Medien würden nicht darüber berichten, weil sie mit dem Establishment verbandelt seien.

Es sind dies nun mal komplexe Zeiten. Dennoch: Ignorieren lässt sich die Geschichte nicht, dafür ist sie zu gross geworden, auch politisch. Sie hat Frankreich verlassen.

Neulich nahm die berühmte politische Influencerin und Trump-Anhängerin Candace Owens die Falschnachricht auf. Sie verhandelte sie unter anderem auf der konservativen Nachrichtenplattform «Daily Wire». Auf X, wo ihr fünf Millionen Personen folgen, schrieb Owens: «Nachdem ich diesen Fall studiert habe, setze ich meine gesamte Reputation aufs Spiel und sage: Brigitte Macron ist tatsächlich ein Mann.»

Und plötzlich war «Brigitte-Gate» auch in den USA ein Thema. In Frankreich wird deshalb die Frage diskutiert, ob das alles orchestriert sein könnte, ob also die Entourage von Donald Trump, die Alt-Right-Bewegung und die Anti-Transgender-Lobby versuchten, Macron zu schaden, ihn politisch zu destabilisieren. Es soll ja Leute geben, die in Macron eine Art Anti-Trump sehen.

Alles begann 2021 mit Artikeln in einer Kleinpublikation eines Rechtsextremisten

Und was ist mit Wladimir Putin und seinen Trollen: Blasen die die Geschichte nicht auch zusätzlich auf, nun, da sich Macron so entschlossen auf die Seite der Ukraine geschlagen hat? Etwa so, wie sie die Geschichte der Pariser Bettwanzen befeuert hatten? Macron weist ständig auf die Gefahren hin, die den westlichen Demokratien aus diesen Cyberkampagnen erwüchsen, er erlebt sie persönlich.

Begonnen hat das «Brigitte-Gate» jedoch daheim in Frankreich, im Herbst 2021, mit einer Serie von fünf Artikeln in «Faits et Documents», einer Kleinpublikation des Rechtsextremisten Alain Soral. Als Quelle der Artikelserie diente eine Frau, die sich dann im Dezember auf dem Youtube-Kanal einer französischen Hellseherin erklären sollte: mit Sonnenbrille, anonym, vier Stunden lang. Sie erzählte da, Brigitte Macron heisse in Wahrheit Jean-Michel Trogneux. Das war schon mal abenteuerlich: Einer von Brigittes Brüdern heisst Jean-Michel Trogneux.

Es gebe viele Leute, die solche «falschen Informationen» und solchen «Schwachsinn» am Ende eben doch glaubten, sagte Präsident Emmanuel Macron über die Geschichten um seine Frau.

In wenigen Tagen hatten 500’000 Menschen das Video gesehen, eine verrückte Zahl für einen Nischenkanal, Youtube sollte es später löschen. Die anonyme Person gab sich bald zu erkennen: Natacha Rey bezeichnete sich als unabhängige Journalistin. Drei Jahre lang habe sie dem «Mystère Brigitte Macron» nachrecherchiert, behauptete sie. Das sei nicht einfach gewesen, denn Frankreich sei ein totalitärer Staat.

Sie sagte eine Menge solcher Dinge, alle aus dem Fundus der Verschwörungsmystiker. Ganz unbekannt war Rey nicht, sie war schon in der Bürgerbewegung der Gelbwesten aktiv gewesen, der Gilets jaunes, und während der Pandemie gehörte sie zur ersten Reihe der französischen Impfgegner. Aber berühmt war sie nicht, eine verlässliche Quelle schon gar nicht. In Gesprächen mit der Investigativjournalistin Emmanuelle Anizon, die der Entfaltung der Falschnachricht das Buch «L’affaire Madame» widmete, räumte Natacha Rey ein, dass sie sich in einem schwierigen Moment ihres Lebens zurückgezogen habe und viel Zeit im Netz verbrachte.

Die Falschmeldung hatte bereits Vorbilder

Nach dem Video auf Youtube ging die Geschichte auch in den sozialen Medien viral, mit dem Hashtag #JeanMichelTrogneux. Der Name Brigitte erschien in diesen Kreisen nur noch angeführt: «Brigitte». Und so hatten die grossen Zeitungen, die sich bis dahin zurückgenommen hatten, keine Wahl mehr: Sie mussten sich des vermeintlichen Mysteriums annehmen und ihrerseits Recherchen führen.

Viel Arbeit war nicht nötig, es war ja alles so abstrus. Unter anderem fand man eine Anzeige in der Lokalzeitung «Courrier Picard» vom 13. April 1953, in der sich die grossbürgerliche Familie Trogneux aus dem Norden Frankreichs über die Geburt von Brigitte freut. Ihre fünf Geschwister begrüssen sie da auf der Welt, alle namentlich, auch Jean-Michel. Die Anhänger der Theorie liessen sich nicht beirren. Sie behaupteten, Brigitte sei in Wahrheit adoptiert gewesen und gestorben, Jean-Michel habe dann sozusagen ihre Identität übernommen, als Frau.

Die Falschmeldung um Brigitte Macron ist anderen nachempfunden, etwa jener über Michelle Obama, die Frau des früheren amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Auch über sie wurde das Gerücht verbreitet, sie sei ein Mann, ein alter Freund ihres Gatten, der in der Jugend als «Big Mike» bekannt gewesen sei. Auch von Begoña Gómez, der Frau des spanischen Premiers Pedro Sánchez, hiess es schon, sie sei ein Mann. Und von Jacinda Ardern, der früheren Premierministerin Neuseelands.

Das müssen nicht viele glauben. Aber wenn ein paar Millionen Menschen nur zweifeln, auf Fotos genauer hinschauen, dann haben die Fälscher schon gewonnen.

Bei den Eheleuten Macron fiel das besonders leicht. Sie waren schon ein spezielles Paar, bevor das Hirngespinst über Brigitte Macrons Geschlecht seinen Lauf nahm. Ihren späteren Mann lernte sie kennen, als der noch ein Junge war, 15 Jahre alt. Sie war damals 39, bereits Mutter von drei Kindern, Französischlehrerin an der jesuitischen Mittelschule La Providence in Amiens.

Brigitte Macron geht vor Gericht

Emmanuel Macron sagte einmal, er sei unsterblich in seine Lehrerin verliebt gewesen und habe alles gegeben, um sie zu bekommen. «Und ich habe sie bekommen. Sie ist meine Frau, und ich liebe sie.» Sie wiederum sagte, sie habe den Altersunterschied nie wahrgenommen, diese 24 Jahre, das sei «so was von nichts». In einem Interview in der Illustrierten «Paris Match» erklärte sie den Beginn ihrer Liebe unlängst so: «In meinem Kopf war ein Basar, als mein Vater starb, hatte ich einen Wirbelsturm in mir drinnen.» Sie trennte sich von ihrem ersten Mann. Die Kinder waren verstört, in Amiens war die Familiengeschichte Stadtgespräch, ein Skandal.

Die Macrons heirateten 2007, zehn Jahre später zogen sie gemeinsam ins Élysée ein, ins präsidiale Palais. Mit den Jahren wuchs die Familie dann doch zusammen, über die Generationen und die Gräben des Unverständnisses hinweg. Brigitte Macrons Kinder, die Emmanuels Mitschüler in La Providence gewesen waren, lernten ihren fast gleichaltrigen Stiefvater schätzen.

Eines von Brigitte Macrons Kindern, Tiphaine Auzière, eine Anwältin, nahm sogar einmal für die Partei des Gemahls an einer Wahl teil. Nun hat sie ein Buch geschrieben und ist für die Promotion oft im Fernsehen zu sehen, sie redet dabei auch über Fake News. Lügen, sagt sie, seien schnell verbreitet. Aber bis man sie wieder aus dem Netz gelöscht habe, brauche es so viel Zeit und Energie.

Macron selbst hat lange geschwiegen, bis vor ein paar Wochen. Es gebe viele Leute, die solche «falschen Informationen» und solchen «Schwachsinn» am Ende eben doch glaubten, sagte er in eine Kamera. «Das trifft einen im Innersten der Intimität.» Er meinte damit wohl sie beide, Herrn und Frau Macron.

Brigitte Macron hat Natacha Rey auf Verleumdung verklagt. Der Prozess sollte ursprünglich 2025 stattfinden. Nun aber, da die Geschichte den Atlantik überquert hat und international wurde, bat sie um eine frühere Ansetzung des Prozesses, auf Juni 2024. Damit es schneller vorbei ist – vielleicht.