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«Für die Beziehung ist es russisches Roulette»

Mathias Morgenthaler am Samstag den 21. Februar 2015

Alexandra Bonazzi Hofschneider und Stefan Hofschneider leiten seit gut einem halben Jahr das Restaurant und Hotel im neu renovierten Schloss Thun. Für die beiden Quereinsteiger, die zuvor fast 20 Jahre in Amsterdam gelebt hatten und keinerlei Gastronomie-Erfahrung mitbrachten, ist die neue Aufgabe ein Abenteuer und ein Wagnis.

Interview: Mathias Morgenthaler

Sie waren als Architekten in Amsterdam tätig, als vor fünf Jahren in Thun der Umbau des Schlossbergs in Angriff genommen wurde. Wie kommt es, dass Sie nun hier das Restaurant und Hotel betreiben?
STEFAN HOFSCHNEIDER: Da waren viele Zufälle im Spiel. Ich bin in Bern aufgewachsen, das Elternhaus meiner Mutter steht im Gürbetal, deshalb ist der Kontakt mit der Heimat nie abgerissen. Vor fünf Jahren wurden wir bei einem Spaziergang auf der Stafelalp auf ein leer stehendes Ferienheim aufmerksam. Dieses alte Gebäude im Gebiet der ehemaligen Schwefelwasserquellen inspirierte uns zu Gedankenspielen: Was könnte man daraus machen? Wie könnte das Gebäude renoviert und genutzt werden? Auf der Heimreise nach Amsterdam entwarfen wir ein Konzept. Dieses landete bald darauf auf dem Tisch von Unternehmer Paul Ringgenberg.

Was hat diese Geschichte mit dem Umbau des Schlosses in Thun zu tun?
STEFAN HOFSCHNEIDER: Ringgenberg zeigte unser Konzept verschiedenen Geschäftsfreunden, unter anderem auch dem Investor und CS-Banker Hans-Ulrich Müller. Die beiden beschäftigten sich in dieser Zeit mit der Frage, wie das Schloss Thun umgebaut und wiederbelebt werden könnte. So kamen wir dort ins Spiel ohne unser direktes Zutun.
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Als wir am Weihnachtstag 2010 erstmals die Räume im alten Gefängnis und Gerichtssaal des Schlosses Thun sahen, schlug unser Architektenherz höher. Wir erkannten sofort, welch wunderbare Aufgabe das war, in diesen alten Mauern etwas Zeitgemässes, Freundliches zu realisieren.

Sie brachen nach 20 Jahren in Amsterdam kurzerhand die Zelte ab?
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Es war ein reiner Bauchentscheid. Wenn du unbändige Lust hast, ein Projekt zu realisieren, musst du die Stimme der Vernunft manchmal ausblenden. Klar, wir hatten uns beide etwas aufgebaut in Amsterdam, ich hatte mein eigenes Architekturbüro, Stefan war in internationale Projekte involviert.
STEFAN HOFSCHNEIDER: Um die Jahrtausendwende war Holland ein Mekka für Architekten, ab 2008 wurde es schwieriger. Für uns stellte sich auch die Frage, wie wir in fünf, zehn Jahren arbeiten wollen. Die Aussicht, einen historisch bedeutsamen Ort selber umgestalten zu können und dann als Gastgeber dort zu wirken, war sehr verlockend. Deswegen entschieden wir uns, den Lebensmittelpunkt etappenweise von Amsterdam nach Thun zu verlegen.

Hatten Sie keine Bedenken, ob Sie dieser Aufgabe gewachsen sind? Sie brachten keinerlei Erfahrung in der Hotel- und Gastrobranche mit.
STEFAN HOFSCHNEIDER: Ich sehe viele Parallelen zwischen dem Architekten und dem Hotelier. Beide wollen dem Gast einen eindrucksvollen Aufenthalt ermöglichen. Wir hatten grosse Lust, in diese neue Rolle hineinzuwachsen. Schon der Umbau des Schlosses war eine grosse Herausforderung, weil sich verschiedene Parteien in vielen Detailfragen auf eine gemeinsame Linie einigen mussten. Ein Investor hat in vielen Fragen andere Ansichten als ein Denkmalpfleger, der lokale Handwerker setzt andere Prioritäten als der internationale Architekt. Da waren sehr viel Fingerspitzengefühl und Konfliktfähigkeit gefragt.
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Die Umbauzeit war voller Überraschungen. Während der Renovation entdeckten die Archäologen Wandmalereien, zugemauerte Fenster, alte Mauern, eine alte Kammzugdecke und so weiter. All das wich von unseren Plänen ab und stellte das ganze Team vor die Frage, wie diesen historischen Funden Rechnung getragen werden sollte. Im alten Gefängnis etwa, wo wir 14 Hotelzimmer geplant hatten, war lange unklar, wie viel wir vom alten Wehrgang stehen lassen sollten. Das hatte einen grossen Einfluss auf die Zimmergrösse. Aber grundsätzlich war es eine traumhafte Aufgabe, in diesen prächtigen Räumen alle Details gestalten zu können, von den Böden über die Farb- und Lichtgestaltung bis zur Möblierung und zur Frage, welche Kunst welchen Raum ideal zur Geltung bringt.

Spürten Sie den nötigen Rückhalt in Thun?
STEFAN HOFSCHNEIDER: Wir haben es glücklicherweise geschafft, immer wieder alle Parteien an einen Tisch zu holen und auf eine Linie zu bringen. Aber natürlich gab es in Thun Leute, die fragten: «Wer sind diese Menschen, die unser Schloss umbauen?» Es ist kein banales Gebäude, das wir da umgestaltet haben, sondern ein Denkmal der Stadt.

Wie gut gelang der Quereinstieg in die Hotellerie und Gastronomie?
STEFAN HOFSCHNEIDER: Ich absolvierte noch während der Umbauzeit berufsbegleitend meine Gastronomiegrundausbildung. Am Anfang fehlte es an allen Ecken und Enden am Know-how. Wie soll die Speisekarte aussehen? Wie stellen wir die Rum- und Whisky-Auswahl für die Lounge zusammen? Wie staffeln wir die Preise? Wo beziehen wir welche Produkte? Die Lernkurve war sehr steil, und wir waren gezwungen, uns sehr gründlich mit all diesen Fragen zu beschäftigen. Natürlich unterliefen uns dabei Fehler, aber die Gäste spürten auch, dass in diesem Haus keine Routine herrscht.
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Eine grosse Herausforderung war, dass wir das Restaurant bereits im Juni 2014 eröffnen mussten, während der Umbau im Hotel noch in vollem Gang war. Die Mobiliar-Versicherung, welche hier ihr Weiterbildungszentrum eingerichtet hat, wollte ihre Räume und das Gastronomieangebot nutzen. Für mich war dieses letzte halbe Jahr eine enorme Herausforderung. Hier die Baustelle Hotel, da das Restaurant, wo wir ein Team aufbauen und betreuen mussten. Da haben wir viel Lehrgeld bezahlt.

Hatten Sie keine fachliche Beratung?
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Doch, aber viele gute Konzepte lassen sich in der Praxis nicht wie geplant umsetzen. Wir wollten mit sehr flachen Hierarchien führen, wollten die Hotelphilosophie auch auf den Restaurantbereich ausweiten. Aber wir mussten lernen, dass die Gastronomie stark nach Divisionen funktioniert. Jeder hat seine Funktion, seinen Zuständigkeitsbereich, und alles Offene, Interdisziplinäre kann zur Bedrohung werden. Wir haben unterschätzt, wie viel Zeit und Kraft es braucht, ein Team von 20 Mitarbeitern auf ein Ziel und eine Kultur einzuschwören. Und ein Grundproblem in der Gastronomie und Hotellerie ist, dass man dazu wenig Zeit hat, weil man an der Kundenfront und im Management gefordert ist.

Wie haben die Thuner das neue Angebot aufgenommen? Am Anfang war das Restaurant eher spärlich besucht.
STEFAN HOFSCHNEIDER: Die ersten Monate waren schwierig, einerseits weil das Hotel noch eine Baustelle war, dann aber auch wegen Problemen im Service und mit den Wartezeiten beim Mittagessen. Nun haben wir das im Griff und dürfen konstatieren, dass die Thuner den Ort entdeckt haben. Ein Highlight ist, wenn am einen Tisch die Mitarbeiter eines Anwaltsbüros sitzen, am anderen jene einer Schreinerei – und die beiden Tische im Verlauf des Essens miteinander ins Gespräch kommen. Das war immer unser Ziel, dass das Schlosshotel ein Begegnungsort wird. An den Abenden klappt das bereits sehr gut, am Mittag haben wir noch Luft nach oben.

Die letzten Hotelzimmer wurden erst Ende Jahr fertiggestellt. Wie wollen Sie die angestrebte 70-Prozent-Auslastung erreichen?
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Als Hotel müssen wir uns erst noch positionieren und bekannt machen. Unser Hauptzielpublikum sind Seminar- und Kongressgäste. Thun ist aber nicht nur als Seminarort beliebt, sondern auch als Oase der Entspannung und Ausgangspunkt für Alpenflüge, Wanderungen, Schlauchbootfahrten. Als historisches Boutiquehotel haben wir einiges zu bieten, aber es braucht Zeit, sich als neuer Player in den Marketingkanälen zu etablieren. Es ist uns wichtig, durch Anlässe und Führungen mehr Menschen mit dem Schloss in Kontakt zu bringen.

Wie verändert sich eine Beziehung, wenn man gemeinsam ein Hotel und Restaurant führt?
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Wenn man gemeinsam so ein Projekt leitet, muss man sich als Paar neu erfinden. Der Rhythmus und die Gewohnheiten von vorher sind nicht mehr aufrechtzuerhalten, wir sind permanent unter Druck, verpflichtet gegenüber den Investoren, den Mitarbeitern, den Gästen. Etwas überspitzt könnte man sagen: Für die Beziehung ist es russisches Roulette, ein Wagnis mit offenem Ausgang. Wenn wir uns nicht schützen, dreht sich 24 Stunden lang alles um den Schlossberg.

Sie wohnen einen Steinwurf vom Schloss entfernt. War das eine gute Idee?
STEFAN HOFSCHNEIDER: Der kurze Arbeitsweg spart uns Zeit, aber natürlich erschwert er das Abschalten. Wichtig ist, dass wir uns den Luxus gemeinsamer Freizeit gönnen und delegieren lernen. Wenn beide permanent im Energiedefizit sind, fehlt der Nährboden für positive Emotionen. Wir haben nun einen dritten Geschäftsführer angestellt, der uns entlasten wird. Grundsätzlich ergänzen wir uns sehr gut. Du verschiebst immer meine Grenzen, Alexandra. Du entscheidest aus dem Bauch heraus, welche Träume wir realisieren wollen, und fragst nicht nach den Risiken.
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Und du bist dann mein Schutzengel, der mich davor bewahrt, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und die Geduld zu verlieren. Ich brauche jemanden an der Seite, der einen kühlen Kopf bewahrt und die Träume auf einzelne Schritte herunterbricht.

Was schwebt Ihnen für dieses Jahr Neues vor?
ALEXANDRA BONAZZI HOFSCHNEIDER: Im Frühling und Sommer wollen wir die Terrasse und den Garten nutzen. Ein Raum, der ursprünglich als Weinlager vorgesehen war, ist inzwischen so gemütlich ausgestaltet, dass wir darin Fondueabende, Apéros und Weindegustationen veranstalten. Auf der Terrasse wollen wir im Sommer einen Grillbetrieb lancieren, unmittelbar neben dem Nutzgarten mit Kräutern, Beeren, Gemüse und Blumen.
STEFAN HOFSCHNEIDER: Auch bei den bestens ausgestatteten Bankett- und Seminarräumen sehen wir noch viel Potenzial. Mitte März weihen wir die «Whisky & Cigar Lounge» im Dachstock ein, wo man unter den Sichtbalken die Schlossatmosphäre aufsaugen kann. Der Ort eignet sich nicht nur für lange Gespräche nach dem Essen, sondern auch für Ausstellungen, Konzerte und Lesungen. An Ideen mangelt es wirklich nicht, die Tage sind bloss zu kurz, sie alle umzusetzen.

Kontakt und Information:
http://www.schlosshotelthun.ch

Der neue Schlossberg: Hotel, Restaurant und Seminarort

Der Thuner Schlossberg war lange Zeit kein gastlicher Ort: Hier verbüssten Gefangene ihre Strafen und sprachen Richter ihr Urteil. Dank der Initiative des CS-Bankers Hans-Ulrich Müller und des Muriger Unternehmers Paul Ringgenberg sind in den vergangenen fünf Jahren auf dem Schlossberg ein Restaurant mit Bankettsälen, ein Hotel, Seminarräume und eine Dachbar entstanden. Kauf und Renovation der Schlossberg-Liegenschaften kosten laut Hans-Ulrich Müller rund 18 Millionen Franken. Die Mobiliar-Versicherung, welche die Seminarräume während 120 Tagen pro Jahr als Ideenwerkstatt nutzt, hat 3,2 Millionen Franken eingebracht. Hotel und Restaurant werden durch die Schloss Hotel Thun AG betrieben, die mit 6 Millionen Franken kapitalisiert ist – Geld, das hauptsächlich Paul und Marthe Ringgenberg investiert haben. Als Gastgeber fungieren Alexandra Bonazzi-Hofschneider und Stefan Hofschneider, der Neffe von Marthe Ringgenberg. Das Architektenpaar, das von 1996 bis 2013 in Amsterdam lebte, zeichnete schon für den Umbau verantwortlich. (mmw)

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2 Kommentare zu “«Für die Beziehung ist es russisches Roulette»”

  1. holdewal sagt:

    Herzich gratuliert!
    Dieses Hotel, das Konzept sieht prächtig aus. Man sieht, dass dahinter Menschen mit Erfahrung und Begeisterung, mit Sinn für Bestehendes, mit dem Drang zu neuen Ufern am Werk sind.Das braucht die Schweiz!

  2. Peter Meier sagt:

    “Eine wunderbare und sensible, architektonische wie menschliche Geschichte”…. Gratuliere!