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Eine Nacht in der NaturSo schläft es sich unter freiem Himmel

Zwar lässt sich der Biwaksack ganz – also auch über den Kopf hinweg – verschliessen. Das ist jedoch nichts für Menschen mit Platzangst.

Das Velo ist gepumpt, die Campingausrüstung gepackt und die Richtung einigermassen klar: Ich fahre mit dem Velo vom Kanton Schwyz an die Reuss – und will da irgendwo im Biwak übernachten.

Heisst: ohne Zelt einfach im Schlafsack im Wald oder auf einer Wiese schlafen. Wobei man sich dabei mit einer Extraschicht, dem Biwaksack, vor der Witterung schützt.

Wie Camping ist auch Biwakieren hierzulande in der freien Natur theoretisch erlaubt – mit Einschränkungen. In vielen Kantonen liegt die Hoheit, ob gestattet oder nicht, letztlich bei den Gemeinden. Generell gilt: Naturschutz- und Wildruhezonen oder Gebiete mit allgemeinem Betretungsverbot sind tabu. Bei Privatarealen muss man das Okay der Eigentümer einholen. Und natürlich darf man keine Spuren hinterlassen, etwa in Form von Abfall.

Um keine bösen Überraschungen zu erleben, habe ich vorgängig eine Mail an die Kantonspolizei Aargau geschrieben. Die Antwort: «Im Aargau ist Biwakieren nicht explizit verboten. Einzelne Gemeinden haben Bestimmungen dazu in ihren Nutzungsordnungen, etwa in den Schutzbestimmungen zu Naturschutzzonen. Wenn man sich bei den Landeigentümern oder beim Revierförster anmeldet, fährt man am besten.»

Naturschutzgebiete sind fürs Biwakieren tabu.

Ich stosse bei Maschwanden an die Reuss und befinde mich gleich mitten im Naturschutzgebiet. In der Swisstopo-App habe ich in der Nähe von Hermetschwil im Gebiet Bockhölzli zwei Punkte entdeckt, die Waldhütten vermuten lassen. Deren Vorbauten könnten allenfalls ein gutes Nachtlager sein. Aber Fehlanzeige: Sie befinden sich zwar nicht mehr in der Naturschutzzone, aber auf einem umzäunten Areal mit einem Schild «Betreten für Unbefugte verboten».

Mein nächster Versuch ist eine bewaldete Halbinsel kurz vor Bremgarten AG. Hier stosse ich auf ein Schild, das über die Wehranlage informiert, welche die Kelten einst in der Flussschlaufe errichtet haben – ein sogenanntes Oppidum. Was den alten Helvetiern recht war, kann mir nur billig sein. Allerdings ist auf der Peninsula recht viel los: Joggerinnen, Spaziergänger, Velofahrende. Alle sind sie unterwegs. Das liegt zum einen daran, dass ich mich hier im Naherholungsgebiet einer Kleinstadt befinde, zum anderen daran, dass Sonntag ist.

Ich umrunde die Halbinsel, kreuze einen Vitaparcours und fahre an einigen offiziellen Feuerstellen mit fest installierten Holztischen und Abfallkübeln vorbei. Diverse Schilder heissen mich in der Gemeinde Zufikon willkommen. Eine Feuerstelle ist noch unbesetzt, und hier hat es sogar einen Brunnen. Damit ist der Picknickplatz der perfekte Ort zum Kochen. Und unglaublich, aber wahr: Im Brunnen liegen vier kühlgestellte Biere – als ob hier jemand eine durstige Velofahrerin erwartet hätte.

Erfrischung vergessen? Beim Picknickplatz findet die Autorin Getränke im Brunnen.

Ich koche Pasta mit Zwiebeln und Thunfisch, genehmige mir ein Bier dazu und denke mir in Anbetracht der schicken Häuser auf der anderen Flussseite, dass ich mich hier an bester Wohnlage befinde.

Die Körperpflege habe ich mir für nach dem Essen aufgespart. Ein Fehler, wie sich herausstellt. Bei der Ankunft war mir noch sehr warm, und es wäre einfach gewesen, in die Reuss zu springen. Jetzt schaffe ich es nur bis auf Hüfthöhe. Dem Oberkörper mute ich nur den Waschlappen zu. Und ich kann mich auch nur dazu überwinden, weil ich weiss, dass es sich ohne Salz auf der Haut besser schläft.

Dinieren mit Aussicht.

Für eine ungestörte Nacht eignet sich der Picknickplatz nur bedingt. Nicht nur, weil der angeknabberte Baum in der Nähe verrät, dass hier zu später Stunde der Biber auftauchen könnte. Sondern vor allem, weil die Stelle gleich neben einem Schotterweg liegt und auch von der gegenüberliegenden Flussseite sehr gut einsehbar ist. Es ist mir unwohl beim Gedanken, dass bereits viele Passanten vermuten könnten, dass ich hier übernachten werde. Ich will einfach auf Nummer sicher gehen, dass nicht mitten in der Nacht plötzlich ein Typ vor mir steht. Darum zieht es mich weiter.

Das keltische Oppidum soll gemäss Swisstopo an der höchsten Stelle der Halbinsel liegen, abseits der Schotterwege. Ich erreiche die kleine Hochebene über einen Trampelpfad. Ruinen gibt es hier zwar keine, aber man kann sich problemlos vorstellen, dass sich der Ort einst gut geeignet hat, um allfällige Feinde von Weitem zu erblicken.

Der Grossteil der Fläche des einstigen Oppidums ist mit Dornen überwachsen, die mit meiner aufblasbaren Isolationsmatte nicht kompatibel sind. Zudem bevölkern zahlreiche Krabbeltiere das Gestrüpp. Doch zum Glück gibt es auch einen kleinen Abschnitt, der unbewachsen und bloss mit etwas Laub bedeckt ist. Jemand hat hier sogar eine kleine Bank hingestellt, gefertigt aus einem Brett und zwei Sockelsteinen – mein Nachttischchen.

Wo einst die Kelten nach ihren Feinden Ausschau hielten, findet die Autorin den perfekten Schlafplatz.

Um 21 Uhr wird es richtig dunkel. Ich bette mich in meinen Sack, muss aber zur vollen Stunde feststellen, dass meine Platzwahl einen kleinen Nachteil hat. Die Glocken vom nahen Benediktinerinnenkloster sind laut, sehr laut. Bis um Mitternacht döse ich vor mich hin und habe das Gefühl, dass ich jede Viertelstunde schlagen höre. Auch Motorengeräusche von Autos und Motorrädern erreichen mein Nachtlager. So viel Zivilisationslärm hätte ich nicht erwartet, weshalb ich keine Ohropax mithabe. Nach 24 Uhr wird es ruhiger – ich schlafe bis um 6 Uhr durch.

Der kurze Schlaf war erstaunlich erholsam. Nicht so toll wäre die Nacht wohl verlaufen, hätte es geregnet. Mein Biwaksack soll zwar wasserdicht sein, aber die Vorstellung, ihn ganz – also auch über meinen Kopf – zu verschliessen, macht mir Angst, Platzangst. Auch kann ich von Glück reden, dass es so früh im Jahr ist und noch nicht viele Insekten unterwegs sind. Zudem wehte auf dem Keltenhügel stets ein leichter Wind. So war es kein Problem, dass mein Kopf die ganze Nacht aus dem Sack ragte. Wäre es anders gewesen, hätte ich einen Biwaksack gebraucht, der um den Kopf etwas geräumiger ist und auch über ein Moskitonetz verfügt – mein Modell ist eher fürs Hochgebirge geeignet, wo in der Regel keine Insekten unterwegs sind.

Das Hab und Gut ist verpackt, jetzt wartet das Frühstück.

So oder so: Abends entdecke ich an meinem Ellbogen eine Zecke. Diese kleinen Blutsauger sind bekanntlich nicht ganz ohne. Stichwort Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis. Mein Schlafplatz war frei von Gräsern und Sträuchern, darum scheint es mir unwahrscheinlich, dass mich der Gemeine Holzbock im Schlaf erwischt hat. Vielmehr vermute ich, dass er mich auf dem Trampelpfad zum Oppidum attackierte – vielleicht als Rache der Kelten.