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Mamablog: Empty-Nest-Syndrom mal andersDie Kinder ziehen aus – endlich frei!

Sie denken beim Thema «Empty Nest» an schluchzende Mütter in einem leeren Kinderzimmer? Nun: Es geht auch anders.

Bei mir ist es zwar noch nicht so weit, dennoch hat mich der Auszug von Doris Knechts Zwillingen in ihrem neuesten Buch «Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe» sehr beschäftigt. Ich las die Texte der österreichischen Schriftstellerin und Kolumnistin schon, bevor ich (und sie) Kinder hatten, aber erst mit ihrer Mutterschaft fühlte ich mich ihr so richtig verbunden. Während der zahlreichen schlaflosen Nächte, als meine Babys unter Koliken litten, zahnten oder mich aus anderen Gründen vom Schlaf abhielten, las ich ihre Kolumnen über das Muttersein im 21. Jahrhundert. Sie war anders als andere, weil sie mehr wollte, als nur Mutter zu sein. Obwohl ihre Zwillinge einen Tick älter sind als meine Kinder, konnte ich ihre Ängste, Gefühle und Reaktionen durchaus nachvollziehen, als sie davon erzählte, wie ihre Kinder nach zwei Jahrzehnten auszogen.

Kein Grund zu klagen

Als alleinerziehende Mutter steht sie an einem bedeutenden Wendepunkt ihres Lebens. Man könnte vermuten, dass sie über das «Leeres-Nest-Dasein» klagen würde, doch ganz im Gegenteil. Und genau das macht sie seit Jahren so sympathisch. Denn seien wir ehrlich: So sehr wir unsere Kinder lieben, so sehr sind wir doch irgendwann froh, wieder ein unabhängiges Leben zu haben. Zumindest mir geht es so. Und auch Doris Knecht.

26 Jahre lang keinen eigenen Raum für mich zu haben, ist das Allerletzte.

Die Wohnung wird ihr zu teuer, also muss sie sich was Kleineres suchen. Auch wenn das nicht nur einfach ist, freut sie sich dennoch darauf, wieder ihr eigenes Reich zu haben. Denn natürlich haben wir unsere Teenager zur Selbstständigkeit erzogen, aber das Aufräumen von Socken, Geschirrbergen und verstreuten Schuhen ist oft zu viel verlangt. Daher erscheint ein Leben ohne sie unter demselben Dach als äusserst erstrebenswert.

Als Mutter von Teenagern wirkt die Situation für mich wie ein Traum: meine eigenen vier Wände, niemand, der nach dem Abendessen fragt, ob noch Joghurt im Kühlschrank ist oder ob ich sie irgendwo abholen kann. Meine eigene Wohnung hatte ich zum letzten Mal mit 24, bevor ich meinen Mann kennenlernte. Als Einzelkind fiel mir das Teilen immer schon schwer, aber 26 Jahre lang keinen eigenen Raum für mich zu haben, ist das Allerletzte.

Niemand, der sich einmischt

Die Kunst des Loslassens besteht eben auch darin, sich auf neue Situationen zu freuen, statt Trübsal zu blasen. Genau wie wir uns damals auf unsere Babys gefreut haben, freuen wir uns heute darauf, ohne den Anhang unterwegs zu sein. Keine Rücksicht auf die Launen unserer Teenager nehmen zu müssen, weder im Alltag noch auf Reisen. Eigentlich fühlt es sich ganz ähnlich an wie damals, als ich von zu Hause auszog. Niemand, der sich einmischt. Endlich frei!

«Wenn die Kinder ausziehen, sollen wir trauern wie Witwen.»

Doris Knecht, österreichische Schriftstellerin

Vielleicht liegt das auch an meiner Leidenschaft fürs Schreiben. Schon Virginia Woolf wusste, dass Schreibende Geld und ein Zimmer für sich allein benötigen, wie sie in ihrem viel zitierten feministischen Essay betonte. Sowohl Knecht als auch ich – sowie die meisten meiner Kolleginnen – sind allerdings seit Jahren weit entfernt von diesem Ideal. Knecht erinnert sich, wie sie als junge Autorin mit Kopfhörern am Küchentisch sass und ihre Zwillinge um sie herumwuselten. Ähnliches erzählte auch Milena Moser in zahlreichen Interviews. Schreibende Mütter haben selten optimale Bedingungen, um sich angemessen zu konzentrieren.

Schluchzend im verlassenen Kinderzimmer

Deshalb freuen wir uns wohl jetzt schon auf den Moment, in dem niemand mehr um den Küchentisch herumschwirrt. «Wenn die Kinder ausziehen, sollen wir trauern wie Witwen, sollen wir in ihrem ausgeräumten Zimmer am Boden sitzen und schluchzend die zurückgelassenen Kuscheltiere an uns drücken. Es ist egal, dass wir nicht nur Mütter sind, sondern gleichzeitig auch Ärztinnen, Buchhalterinnen, Wissenschaftlerinnen, Bankberaterinnen, Politikerinnen, Sozialarbeiterinnen und Köchinnen.» Wie schon in ihren zahlreichen Kolumnen möchte Doris Knecht in ihrem neuen Buch das gesellschaftlich anerkannte Mutterbild dekonstruieren, Klischees vernichten, ehrlicher erzählen und ehrlicher darüber berichten, wie es eben wirklich ist, Mutter zu sein.

Dies gelingt ihr mit viel Humor, Selbstreflektion und Ironie. Nie wird sie pathetisch oder kitschig. Und genau das macht diese Analyse des Loslassens so lebensnah. Denn auch beim Auszug der Kinder verhält es sich eben so: Wenn eine Türe schliesst, geht eine andere auf. Im besten Fall eine in den eigenen vier Wänden.

Doris Knecht: «Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe». 2023, Hanser Berlin, 240 Seiten, rund 30 Franken.