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Kritik von Herstellern und BauernNeues EU-Gesetz macht Schweizer Schoggi teurer

Von hier kommt ein guter Teil des Kakaos, der in der Schweiz zu Schokolade vearbeitet wird: Zwei Frauen beim Trocknen von Kakaobohnen in der Elfenbeinküste:

Für Berge und Käse ist die Schweiz bekannt, ebenso für Schokolade. Kein Wunder: 154’000 Tonnen werden von Firmen wie Barry Callebaut, Nestlé, Lindt & Sprüngli und Läderach jährlich ins Ausland exportiert, davon 90’000 Tonnen in die Europäische Union.

Doch nun droht dem wichtigen Auslandsgeschäft Gefahr: Das neue EU-Entwaldungsgesetz, das seit dem 1. Juni gilt, verpflichtet Firmen, die ihre Produkte in EU-Ländern verkaufen, sicherzustellen, dass bei der Produktion keine Wälder gerodet oder geschädigt wurden. Und sie müssen das lückenlos nachweisen können.

Die neuen Regeln gelten auch für Kaffee, wovon die Schweiz jährlich 121’000 Tonnen exportiert. Das sind etwa Kapseln und Instantkaffee im Wert von 3,4 Milliarden Franken. Rund die Hälfte davon gehen in die EU. Wegen des Nespresso-Kapsel-Booms ist die Schweiz zur weltweit grössten Exporteurin verarbeiteten Kaffees aufgestiegen.

Betroffen sind Hunderte weitere Schweizer Firmen, die Rindfleisch, Holz, Kautschuk, Soja und Palmöl in die EU ausführen wollen – oder daraus hergestellte Produkte. Möbel etwa, Tierfutter oder Bündnerfleisch.

«In der Summe können solche Vorschriften durchaus zu Preiserhöhungen führen.»

Christoph Birchler, Geschäftsführer Maestrani

Besonders in der Schokoladen- und der Kaffeeindustrie herrscht Unsicherheit – aus zwei Gründen: Erstens treibt das neue Gesetz die Kosten. Überdurchschnittlich stark davon betroffen sind kleinere und mittelgrosse Anbieter wie die Ostschweizer Schokoladenherstellerin Maestrani. Sie exportiert Minor- und Munz-Prügeli in über 40 Länder. 42 Prozent ihrer Schoggi verkauft Maestrani im Ausland, den grössten Anteil davon in EU-Ländern.

Maestrani hat für den zusätzlichen Verwaltungsaufwand eigens eine zusätzliche Spezialistenstelle schaffen müssen. Geschäftsführer Christoph Birchler sagt: «In der Summe können solche Vorschriften durchaus zu Preiserhöhungen führen.»

Die ganze Schoggi-Branche sei betroffen, sagt Urs Furrer, der Direktor des Branchenverbands Chocosuisse: «Die Administrativkosten werden steigen – das sagen alle, die sich mit dem Thema befassen.» Ein Migros-Sprecher sagt, dadurch werde Schoggi in den Supermärkten sicher nicht günstiger. Sprich: Preiserhöhungen sind nicht ausgeschlossen.

Coop, die vor allem in ihrem Produktionsbetrieb Halba Kakao benötigt, deutet an, dass es zu Preiserhöhungen kommen könnte, wenn sich die konkrete Umsetzung auf EU-Ebene als aufwendig und komplex erweisen sollte.

Angst, dass Schweizer Exporte in die EU erschwert werden

Zweitens sind die Betriebe besorgt darüber, ob sie weiterhin ungehindert in EU-Ländern verkaufen dürfen. Denn noch fehlen Leitlinien und ein digitales Berichterstattungssystem, in das die Käufer dieser Rohstoffe die entsprechenden Nachweise eintragen müssen. Beides wird die EU erst noch aufbauen. Und vor allem ist noch unklar, ob Schweizer Firmen Zugang zum EU-Berichterstattungssystem erhalten werden.

Die Zeit drängt, denn schon Ende des nächsten Jahres endet die Übergangsfrist. «Wir operieren im Vakuum», sagt Michael Von Luehrte, Generalsekretär des Schweizerischen Kaffeefachverbands. Am Donnerstag und Freitag besprachen mehr als 1000 Hersteller, Händler und Röster aus der ganzen Welt in Basel die komplexe Lage.

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Auch in der Schokoladenbranche herrscht Unsicherheit. Maestrani werde zwar alle Anforderungen erfüllen, sagt Geschäftsführer Christoph Birchler. Aber: «Es liegt nun am Bund, sicherzustellen, dass dies auch anerkannt wird.»

«Im schlimmsten Fall verweigert die EU den Schweizer Unternehmen den Zugang zum digitalen Berichterstattungssystem. Das wäre fatal», sagt Chocosuisse-Direktor Urs Furrer. Er fordert, dass der Bund so rasch wie möglich darauf hinwirkt, dass Schweizer Unternehmen diesen Zugang erhalten.

Noch weiter geht Nestlé. Der Nahrungsmittelmulti, mit Nespresso und Nescafé der grösste Exporteur von Kaffee, ist zuversichtlich, dass er die EU-Entwaldungsverordnung fristgerecht erfüllt. Er fordert, dass die Schweiz diese übernimmt. Auf diese Weise, so die Hoffnung, wäre der Zugang zum Berichterstattungssystem gewährleistet. «So ist weiterhin der hindernisfreie Export in die EU gewährleistet», sagt eine Sprecherin.

17 Länder aus dem globalen Süden kritisieren das EU-Gesetz

Kritik am Gesetz kommt von unerwarteter Seite – ausgerechnet von den grossen Kakao- und Kaffeeanbauländern, die am meisten von der neuen Regelung profitieren sollten. Kürzlich wandten sich Botschafter aus 17 Ländern mit deutlichen Worten an die EU. Die Unterzeichner – darunter Brasilien, Kolumbien, Ghana, Ecuador, Guatemala, Indonesien, Malaysia, Mexiko, Peru, Thailand und die Elfenbeinküste – beklagten in ihrem Schreiben, dass das Gesetz in seinen Bemühungen, die Wälder weltweit zu schützen, unwirksam sein werde. Zudem führe es zu Kollateralschäden wie zunehmende Armut.

Tatsächlich hat das Gesetz, je nach Umsetzung, fatale Folgen für die Bäuerinnen und Bauern. «Im schlimmsten Fall wird der ganze Aufwand für die Nachweise einfach auf die Produzenten überwälzt», sagt Fabian Waldmeier, Geschäftsführer von Fairtrade Max Havelaar, einer Stiftung, die in der Schweiz das Label für nachhaltig angebaute Produkte vergibt.

Von Bauern, die in Genossenschaften in Ländern wie Ghana oder Brasilien landwirtschaftliche Rohstoffe anbauen, hört er laufend Klagen über immer mehr Anforderungen, die sie kaum erfüllen können.

«Nachhaltigkeit zum Nulltarif ist eine Illusion.»

Fabian Waldmeier, Geschäftsführer von Fairtrade Max Havelaar

Sie haben sowieso bereits mit steigenden Preisen für Saatgut, Dünger und Strom zu kämpfen. Das bringt Fairtrade in ein Dilemma: «Auf der einen Seite wollen wir, dass den Produzenten diese Aufwände entschädigt werden, auf der anderen Seite sehen wir auch, dass die Abnehmer zurückhaltend sind, wenn es darum geht, höhere Preise für die Rohstoffe zu bezahlen», sagt Waldmeier.

Denn Kunden goutieren weitere Preisaufschläge im Supermarkt immer weniger. Dabei könnten zahlreiche Produkte aufgrund neuer Umwelt- und Menschenrechtsgesetze teurer werden. Einzeln betrachtet, sind neue Vorschriften verkraftbar. In der Summe fallen in der Herstellung zunehmend höhere Kosten an. Waldmeier sagt: «Nachhaltigkeit zum Nulltarif ist eine Illusion.»

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Für den Nachweis, dass bei der Produktion keine Wälder gerodet oder geschädigt wurden, soll auf den Farmen eine auf Geolokalisierung beruhende Technologie eingeführt werden. Sie ermittelt die Standorte von Anbauflächen und Wäldern laufend und gleicht sie mit historischen Daten ab. Ein neues Geschäftsfeld für Firmen wie das Start-up LiveEO aus Berlin. Es rechnet mit einem neuen Milliardenmarkt.

Auf solche Systeme sind jedoch die Kleinbauern im Süden oft nicht vorbereitet. Waldmeier von Fairtrade sagt: «Erklären Sie einmal einem Bauern der Elfenbeinküste, dass er seine Farm mit der GPS-Polygonmethode kartieren soll.» Wenn nun plötzlich Millionen von Kleinstbauern solche Vorschriften umsetzen müssen, sei das «eine enorme Herausforderung».

Dabei ist das Entwaldungsgesetz erst der Anfang. Die EU plant im Rahmen des Lieferkettengesetzes, mit dem Umwelt- und Menschenrechtsrisiken eingedämmt werden sollen, weitere neue Vorschriften. Waldmeier befürwortet das Gesetz, sagt aber: «Wenn nun durch laufend zunehmende Regelungen weitere Kosten auf die Bauern zukommen, lohnt sich die Produktion zu den aktuellen Preisen irgendwann nicht mehr.»

Für ihn ist klar: «Abnehmer müssen Produzenten unterstützen. Sie können nicht die ganzen Kosten allein schultern.»

Erster grosser Händler zieht sich aus Äthiopien zurück

Erste Auswirkungen des neuen EU-Gesetzes zeigen sich in Äthiopien. Dort gibt der deutsche Kaffeehändler Dallmayr auf – er ist einer der grössten Käufer äthiopischen Rohkaffees weltweit.

«Die EU verordnet eine digitale Rückverfolgbarkeit, die Äthiopien nicht leisten kann», sagt Johannes Dengler, Mitglied der Dallmayr-Geschäftsleitung.

Er rechnet deshalb damit, dass sich Dallmayr aus dem Geschäft mit sonnengetrocknetem äthiopischem Kaffee zurückziehen muss. «Und das nicht erst im kommenden Jahr, sondern im Grunde genommen sofort.» Denn zum Stichtag der Gesetzesänderung müssten laut den EU-Behörden auch alle Vorräte verbraucht sein.

Wenn so grosse Abnehmer auf andere, grössere Lieferanten ausweichen, ist das verheerend für die Länder des globalen Südens. Sie sind die Schwächsten der ganzen Lieferkette und angewiesen auf den Marktzugang.

Die äthiopischen Bauern können ihren Kaffee nirgends mehr hin liefern, oder sonst an andere Abnehmer – etwa in China, wo ihnen viel geringere Summen bezahlt und auch keine Auflagen in puncto Umweltschutz gemacht werden.

Zwei Frauen sortieren in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba Kaffeebohnen.

Fabian Waldmeier von Fairtrade Max Havelaar sagt: «Wenn das die Umsetzung sein sollte, dann verbessert das Gesetz die Situation nicht, sondern richtet Schaden an.»

Fairtrade International hat deshalb am Donnerstag zusammen mit 70 weiteren Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam und Solidaridad einen Brief an die Ministerien mehrerer EU-Länder eingereicht. Die Botschaft: Das EU-Gesetz soll um einen ausdrücklichen Verweis auf ein existenzsicherndes Einkommen ergänzt werden.

Schweiz hat bei der EU-Kommission angeklopft

Zumindest was die Unsicherheit der Schweizer Firmen im Zusammenhang mit der Entwaldungsverordnung anbelangt, scheint das Thema inzwischen in Bern angekommen zu sein. «Die Bundesverwaltung hat sich mit der EU-Kommission darüber ausgetauscht», sagt Fabian Maienfisch, Sprecher des Staatssekretariats für Wirtschaft.

Der Bundesrat werde voraussichtlich noch dieses Jahr über das weitere Vorgehen befinden. Eine Option sei, dass die Schweiz das EU-Entwaldungsgesetz übernehme – so, wie Nestlé es fordert.