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Glosse auf Süsskartoffel-Trend«Gintoffel» – und schlagartig war ich wieder nüchtern

Im Land der Süsskartoffelwürmer.

Nach zwei Schlucken war ich betrunken. Das lag weniger an den 45 Volumenprozent des Gins als an der Umgebung: Romantik lag in der Luft, auch, weil Lämpchen Mauern und Schlossgärten dramatisch in Szene setzten. Ich war auf einem kulinarischen Spaziergang durch Murten, an sechs Stationen wurde Speis und Trank ausgeschenkt, an der ersten Apéro, und ich nahm verträumt einen Flyer zur Hand, auf dem besagter süffiger Gin beworben wurde.

«Gintoffel», stand da, werde aus Süsskartoffeln gebrannt. 

Schlagartig war ich wieder nüchtern. Gibt es eigentlich noch irgendetwas, das ohne diese ollen orangen Knollen auskommt? 

Süsskartoffeln sind ja die neuen, besseren Avocados. Während Letztere sich auf dem Rückzug befinden (wegen katatstrophaler CO₂-Bilanz), hat sich die Süsskartoffel still und heimlich vom Hipstergemüse zu etwas entwickelt, das Hersteller gern auf Verpackungen schreiben. Am liebsten in der Übersetzung «sweet potatoes», selbst wenn es sich um Babybrei handelt, der weder besonders cool noch hip sein muss. Oder Hummus, Mayonnaise, Chips. Es gibt auch Fertig-Süsskartoffelsuppe, -püree, -brot. Crackers und Pommes frites. 

Und Süsskartoffelmehl (Wozu das dient? Ich habe keinen Schimmer. Aber ich weiss ja auch nicht, was ich mit dem Sonnenblumenkernenmehl machen soll, das ich vergünstigt im Bioladen gekauft habe).

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Im Supermarkt komme ich mir manchmal vor wie im Film, nennen wir ihn «Im Land der Süsskartoffelwürmer».

Das Gemüse hat ja eine undurchsichtige Vergangenheit. Vielleicht wurde es wie die Härdöpfel von Kolumbus’ Männern eingeschleppt, vielleicht aber ist es in Asien geboren – man weiss es schlichtweg nicht. Warum sie nicht mehr nur in Mittelamerika, China und Afrika angebaut wird, sondern auch im Berner Seeland oder in Privatgärten, auch in den Voralpen, hat damit zu tun, dass es bei uns langsam genug warm ist für solcherlei Experimente. Die Süsskartoffel hat übrigens mehr mit der Karotte denn mit der Kartoffel gemein, trotz ihres Namens. 

Die Knolle ist vielfältig, ich sehs ja, und sogar die von mir sehr bewunderte Pflanzenköchin Meret Bissegger führt sie in ihrem Standardwerk «Meine Küche im Frühling und Sommer». Geschmack und Konsistenz, schreibt sie, seien dem Kürbis sehr ähnlich, und füllt die Süsskartoffeln mit Wirsing, Tomatensaucen oder Lauch mit Shiitake-Pilzen. 

Wäre ich in den USA, wo dieser Tage Thanksgiving mit Schüsseln voller Süsskartoffeln gefeiert wird, wäre die Schwemme ja okay. Leider wird auch in der Alten Welt immer wieder von euphorischen Männer- und Frauenzeitschriften die Süsskartoffel als «das gesündeste Gemüse der Welt» ausgerufen, und die Kolumnistin im «Guardian» bezeichnet sie gar als ihr Netflix – einfach weil die Knolle so viel Platz einnimmt in ihrem Leben. 

In meinem auch. Die Süsskartoffel hat sich wie eine Diebin gewieft und sozusagen unbemerkt in den Alltag, um nicht zu sagen: in die Pommes-Chips-Packung geschlichen – und das ist mir unheimlich. 

Wobei, den Gin finde ich gut. Er wird, wie ich mittlerweile herausgefunden habe, aus Süsskartoffeln hergestellt, die zu klein für den Verkauf sind. Ein Zeichen im Kampf gegen den Food-Waste im Land der Süsskartoffelwürmer. Das wäre sicherlich eine schöne Netflix-Serie. 

Süsskartoffelgin ist hier erhältlich: hofammurtensee.ch

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