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Kommentar zu privater Care-Arbeit «Steht dazu!» – Unbezahlte Arbeit gehört in den Lebenslauf

Wie viel wert ist unbezahlte Erziehungs- und Pflegearbeit im Vergleich zu bezahlter Erwerbstätigkeit?

«Wer möchte, dass seine Care-Arbeit anerkannt und wertgeschätzt wird, muss auch zu dieser Arbeit stehen und darf sie im beruflichen Umfeld nicht verschweigen!» Das schrieb Franziska Büschelberger, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und Analystin für das Wohlbefinden beruflicher Teams aus Dresden, vergangenen Freitag auf ihrem Linkedin-Profil.

Gleichzeitig erstellte sie eine offizielle Seite für das fiktive Unternehmen «Unpaid Care Work». Ihr Aufruf: «Ich möchte alle Mütter, Väter und Pflegende von Angehörigen ermutigen, in ihrem Lebenslauf anzugeben, dass sie einen unentgeltlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beitrag leisten! Steht dazu!» 

Eine so simple Idee, dass man sich fragt, warum erst jetzt? Schliesslich ist Kinder grossziehen oder sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern die vermutlich verantwortungsvollste Position von allen und erfordert viele Fähigkeiten, die auch im Berufsleben gefragt sind.

Viel mehr Stunden unbezahlte Arbeit statt bezahlte

Private Care-Arbeit ist zudem der grösste Wirtschaftssektor der Schweiz: Laut Bundesamt für Statistik wurden allein im Jahr 2020 in der Schweiz 9,2 Milliarden Stunden für unbezahlte Haus- und Sorgearbeit aufgewendet, im Vergleich zu 7,6 Milliarden Stunden für bezahlte Arbeit. 

Die gesamte im Jahr 2020 geleistete unbezahlte Arbeit entsprach einem Geldwert von 434 Milliarden Franken, nicht viel weniger als das Schweizer BIP im selben Jahr (696,62 Milliarden) – das noch dazu ohne die geleistete Care-Arbeit gar nicht zu erwirtschaften gewesen wäre.

Obwohl alle, die private Sorgearbeit leisten, also massgeblich zur Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft beitragen, wird diese immer noch wie ein Nebenschauplatz des Wirtschaftslebens behandelt. Sie soll irgendwie nebenher, im Privaten, laufen und ja keinen zu grossen Einfluss auf unser Erwerbsleben nehmen. Schon irgendwie absurd, wenn man bedenkt, wie viele Stunden und Energie wir in die Care-Arbeit buttern und welchen Einfluss das Ganze hat, nicht? 

Ohne Care-Arbeit würde die Wirtschaft zusammenbrechen

Und dann kommt ja noch hinzu, dass es ohne Nachwuchs keine Arbeitskräfte, Steuer- und Renteneinzahlenden von morgen geben würde. Dass ohne private Care-Leistende unser ohnehin schon belastetes Kinderbetreuungs- und Pflegenetz kollabieren würde.

Auf gut Deutsch: Würden wir alle unsere unbezahlte Care-Arbeit in diesem Moment niederlegen, würden unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft von jetzt auf gleich zusammenbrechen. Wieso also sollten wir uns dafür schämen und unseren wertvollen Beitrag zum Funktionieren unseres Landes im beruflichen Kontext weiterhin verschweigen? 

Dieses Paradox aufzuzeigen, war Büschelbergers Ziel, wie sie am Telefon sagt: «Wenn alle, die Sorgearbeit leisten, ‹Unpaid Care Work› in ihren Profilen angeben, wird das ‹Unternehmen› vermutlich schnell das grösste auf Linkedin. So erreichen wir Sichtbarkeit. Und wir müssen gemeinsam aus der Unsichtbarkeit treten, um etwas zu bewegen.»

Hunderte Linkedin-Nutzerinnen und -Nutzer sehen das offensichtlich ähnlich und sind Büschelbergers Ruf voller Enthusiasmus gefolgt. Sie haben in den vergangenen Stunden ihrem Profil eine neue Position hinzugefügt und dabei «Unpaid Care Work» als Arbeitgeberin angegeben.

Dabei lassen sie ihrer Kreativität freien Lauf: Sie nennen sich zum Beispiel CEO (Chief Entertaining oder Education Officer) und geben Fähigkeiten wie «Pflegemanagement», «Frühkindliche Erziehung», «Unterhaltungsmanagement» oder «Schwierige Terminplanung» an. 

Ein Trend, der den Zeitgeist trifft und vielleicht die Kraft entwickelt, den längst überfälligen und dringend notwendigen Diskurs über echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Absicherung und Unterstützung von Care-Leistenden zu befeuern. Weil Care eben nicht Privatsache ist, sondern uns alle angeht.